Anouk Recher: Mehr Flexibilität und Handlungsmöglichkeiten für Schulen
Ich bin Lehrperson an einer kleinen Primarschule des Kantons Solothurn und noch recht «frisch» im Beruf, weil ich in dieser Rolle gerade mein erstes Schuljahr abgeschlossen habe. Ich profitiere davon, dass ich als Klassenlehrerin in einem Tandem mit einer Kollegin arbeite, die kurz vor der Pensionierung steht: Für mich ist das eine sehr spannende Kombination, weil meine Kollegin einen grossen Erfahrungsschatz einbringt und ich ein paar neue Impulse aus dem Studium geben kann. Insgesamt finde ich, dass das Kollegium an unserer Schule sich durch einen guten Teamspirit auszeichnet, und ich habe auch den Eindruck, dass es an einer kleinen Schule vielleicht einfacher ist, Dinge in Bewegung zu setzen: Die Wege sind kürzer, das Ganze ist besser überschaubar, es sind weniger Instanzen involviert.
Wenn ich an die «Schule 2030» denke, dann habe ich den Wunsch, dass das Bildungssystem insgesamt flexibler werden sollte und jeder Schule ein Werkzeugkasten zur Verfügung steht, der entsprechend den Besonderheiten des lokalen Umfelds genutzt wird. Die Prozesse sollten für uns wichtiger sein als die Strukturen, denn letztlich hängt die Qualität von Schule und Unterricht ganz wesentlich davon ab, wie die Prozesse mit Leben gefüllt werden. Schulen müssen experimentieren können, und wir müssen den Mut haben, Dinge über Bord zu werfen, die nicht gut funktionieren, auch wenn sie schon «ewig» vorhanden waren. Dabei ist es auch wichtig, mit den Schülerinnen und Schülern in einem konstanten Austausch zu sein. Es ist wichtig, im kleinen Massstab des eigenen Klassenzimmers Veränderungen zu erproben, und sich dann vom Kleinen zum Grossen vorzuarbeiten. Auch auf dieser Ebene passt die Idee des Werkzeugkastens gut. Da Anforderungen und Neuerungen mit rasantem Tempo kommen, wäre es hilfreich, über ein Repertoire von Handlungsmöglichkeiten zu verfügen, welche flexibel angepasst und eingesetzt werden können. Damit könnten Ressourcen frei werden für das Navigieren in wechselnden und komplexen Situationen, welche Innovation erfordern. Umgekehrt könnte das bei einem Start mit der Veränderung des «Grossen Ganzen» nur schlecht funktionieren, weil sich eben diese Komplexität und Trägheit von Bildungssystemen wohl lähmend auf die Kreativität auswirken würde.
Sorgen mache ich mir im Hinblick auf die «Schule 2030», wenn ich an die Stichworte «wachsende Anforderungen» und «Überforderung» denke: Ich habe den Eindruck, dass da sowohl auf der Ebene der Schülerinnen und Schüler wie auch auf der Ebene des schulischen Personals Fehlentwicklungen zu beobachten sind. Einerseits liegt es nahe, dass wir jedes gesellschaftliche Problem in der Schule aufgreifen wollen; andererseits kann die Schule aber kein Universalwerkzeug für die Reparatur der Gesellschaft sein. Und es ist auch keine Lösung, nach immer mehr Reflexion zu verlangen, weil irgendwann die kognitiven Kapazitäten erschöpft sind. Wir sind auf dem richtigen Weg, wenn wir uns von der Vorstellung eines Wissenskanons verabschieden, der in der Schule vermittelt wird und dabei ständig additiv erweitert wird. Zur Prozessorientierung gehört für mich auch, dass Kinder ihre Ideen und ihre Kräfte an ausgewählten Problemen erproben. Die Schule 2030 hat nicht primär die Aufgabe, fixiertes Wissen zu vermitteln, sondern ein Repertoire, wie ich Zugang zum Wissen finde.
Anouk Recher, Klassenlehrperson Kanton Solothurn