Nina Forcella: Miteinander flexibel bleiben
Ich bin Schulleiterin an einer Primarschule im städtischen Raum, wo unsere soziale Umgebung durch eine ausserordentlich grosse Vielfalt von Menschen aus sehr unterschiedlichen Kulturen und Nationen geprägt ist. Wenn ich von meinen aktuellen Erfahrungen aus auf die «Schule 2030» blicke, gibt es Punkte, die mir Hoffnungen bereiten, aber auch Punkte, die mir Sorgen machen – und manchmal liegen Hoffnungen und Sorgen recht nahe beieinander.
Ich beginne mit den Hoffnungen: Ich finde es sehr erfreulich, dass in unserer Gesellschaft und unseren Schulen die Sensibilität für individuelle Besonderheiten und Bedürfnisse zunimmt, dass der Sinn für gegenseitiges Verständnis und Rücksichtnahme anwächst und damit auch die Toleranz im Umgang mit anderen Sichtweisen und Haltungen. Es ist ein sehr positiver Trend, dass wir mehr und mehr auf die einzelnen Kinder eingehen und dass Inklusion und individuelle Förderung einen hohen Stellenwert haben. Unsere pädagogische Aufmerksamkeit sollten wir dabei verstärkt auf die Ressourcen und Potentiale der Schülerinnen und Schüler richten und weniger auf ihre Defizite. Das ist meines Erachtens nach der richtige Ansatz, um Lernfreude zu bewahren und Kreativität zu stärken – und am Ende profitiert die gesamte Gesellschaft davon, weil das dann auch in die Arbeitswelt einfliesst.
Damit bin ich aber auch schon bei den Sorgen: Wenn ich mir die Breite von Anforderungen im heutigen Schulsystem vor Augen führe, bin ich unsicher, ob wir es in einem hinreichenden Ausmass schaffen, beim Lernen wirklich in die Tiefe zu gehen. Für die Schule 2030 besteht hier die Gefahr, dass wir bei Differenzierung und Individualisierung möglicherweise nur an der Oberfläche kratzen und es dann den Lernprozessen an Kohärenz und auch an Substanz fehlt. Noch grösser sind meine Sorgen beim Stichwort «Überforderung»: Schon jetzt erlebe ich, dass ein erhöhter (Dauer-)Stress auf allen Ebenen schulischer Akteure ein Thema ist, sowohl bei den Schülerinnen und Schülern, wie auch bei den Lehrpersonen und den Schulleitenden. Es leuchtet zu oft ein Warnsignal in den Schulen: «Es ist zu schnell, es ist zu viel, wir sind am Limit». Schule muss ein Feld mit herausfordernden Aufgaben sein, es ist aber nicht gut, wenn wir uns dabei permanent in einem grenzwertigen Bereich befinden. Wenn das so weiter geht, besteht die Gefahr, dass der Leidensdruck in der «Schule 2030» überhandnimmt.
Was ist zu tun, damit die Sorgen auf dem Weg zur Schule 2030 kleiner werden? Dafür gibt es kein Patentrezept. Wichtig ist aber sicherlich, dass wir starre Schemata vermeiden und nach flexiblen Lösungen suchen. Wichtig ist auch, dass Familie und Schule bei der Förderung von Selbst- und Sozialkompetenzen noch besser zusammenwirken. Und wichtig ist nicht zuletzt, dass Lehrpersonen und anderen Akteuren im schulischen Feld ab und an das Signal gesendet wird: «Wir schätzen Eure Arbeit! Ihr macht einen tollen Job! In Euren Händen liegt unsere Zukunft und sie ist dort gut aufgehoben!».
Nina Forcella, Schulleiterin Primarstufe Birsfelden